Tiefenpsychologische Psychotherapie
Die moderne tiefenpsychologische oder psychodynamische Psychotherapie geht auf die klassischen psychoanalytischen Ansätze von Sigmund Freud und seinen Nachfolgern und Nachfolgerinnen zurück. Einerseits umweht die heutige Psychoanalyse etwas „Altehrwürdiges“- mit seinen Festlegungen auf die Therapie im Liegen, das freie Assoziieren und die ausgeprägte „therapeutische Abstinenz“ (der Therapeut soll nichts von sich selber preisgeben). Andererseits trug die Psychoanalyse immer auch einen Keim des Gesellschaftskritischen in sich, da bestehende Ordnungen bis in ihre unbewussten Triebfedern hinein Gegenstand der Analyse wurden. Damit hatte die analytische Psychotherapie, immer schon etwas kritisch Aufklärerisches an sich. Nichts kann einfach als Gegeben hingenommen werden, alles kann (und sollte?) auf vielleicht unbewussten Motive hinterfragt werden. Damit setzt die Tiefenpsychologie den antiken Leitsatz von Delphi fort: „Gnothi seauton“, „Erkenne dich selbst!“ / "Erkenne, was Du bist!" - stand dort über dem Apollontempel zu lesen. Tiefenpsychologie bedeutet auch dem radikal persönlichen eine Stimme und ein Gehör zu verschaffen. „So ist es für mich!- so habe ich es erlebt!“. Nicht was die Gemeinschaft, das Kollektiv will und moralisierend vorschreibt zählt, sondern meine subjektive Sicht und mein inneres Erleben. Daher ist die tiefenpsychologische Sichtweise immer auch tabubrechend, da hier Unbewusstes und Unterdrücktes zur Sprache kommen darf und soll.
Nachteile der klassischen psychoanalytischen Schule waren die unbegrenzte Therapiedauer verbunden mit mangelnder Festlegung auf konkrete Therapieziele (was manche auch als ihren besonderen Vorteil betrachteten) und die Schwierigkeiten in der Therapie mit schwer persönlichkeitsgestörten oder traumatisierten Menschen. Im Zuge einer Neuorientierung wurden hier – nicht zuletzt durch die Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD II) und die z.B. die Strukturbezogene Psychotherapie nach G. Rudolf - wichtige Veränderungen eingeführt.
In einer tiefenpsychologischen Gesprächspsychotherapie, meist im Sitzen abgehalten, werden – nach einer diagnostischen Phase und der Klärung der Therapiemotivation – zunächst gemeinsame Therapieziele, der „Therapiefokus“ festgelegt. Dies können zum Beispiel Beziehungs- und Kontaktschwierigkeiten, der Umgang mit bestimmten Gefühlen oder auch unangemessene, störende Verhaltensweisen sein. Oft gilt es dann zu klären, was der lebensgeschichtliche Zusammenhang dieser Schwierigkeiten ist. Auch Träume und der körpersprachlicher Ausdruck können zum Verständnis herbeigezogen werden. Oft genug reicht es nicht diese Schwierigkeiten nur zu verstehen, sondern neues Verhalten muss regelrecht ausprobiert und geübt werden. Hier nähern sich Tiefenpsychologie & Verhaltenstherapie an, wobei immer zu klären ist, ob etwas überhaupt veränderbar ist oder vielleicht nur verstanden und akzeptiert werden muss.
Eine besondere Form der analytischen Psychotherapie ist die von mir ebenfalls angewandte Kathathym Imaginative Psychotherapie (KIP).
Fallvignette:
Wie es dann weiter gehen könnte soll an einem vereinfachten Beispiel illustriert werden: Herr A. ist z.B. depressiv geworden, nachdem ihn seine Partnerin mit der er eine Fernbeziehung lebte, verlassen hat, die ihn vorher mit einem anderen Mann betrogen hatte. Die Trennung liegt aber schon 3 Jahre zurück und er ist immer noch „depressiv“. Er selber berichtet zunächst von Unzufriedenheiten bei der Arbeit, gelegentlichen Konflikten mit einem Vorgesetzten, die jedoch die Schwere der Depression nicht zu erklären vermögen.
Einerseits könnte man nun fragen: Was fehlt in seinem Leben? –Was müsste er anderes tun, damit es ihm besser geht? - Und diesbezügliche Änderungen in seinem Leben und Erleben schrittweise umsetzen, z.B. wieder mehr seinen vernachlässigten Freizeitaktivitäten nachgehen, wieder Situationen aufsuchen, in denen er z.B. auch wieder eine Frau kennen lernen könnte.
Anderseits kann es auch sein, dass der Mann in Hinblick auf Frauen eigenartig distanziert und unwillig bleibt, was bei der Schilderung, wieviel ihm seine damalige Partnerin bedeutet hat, irritierend erscheint. In der weiteren Therapie wird zunächst deutlich, dass er immer noch einen unausgesprochenen und nur halb bewussten Groll gegen seine frühere Freundin hegt, die ihn durch ihr Fremdgehen massiv in seiner Männlichkeit gekränkt hat. Im Weiteren wird aber deutlich, dass er selber durch sein sie-auf-Distanz-halten dazu beigetragen hatte, dass sie auf eine Weise unzufrieden in der Beziehung wurde, die – obwohl von ihr mitgeteilt – von ihm beharrlich ignoriert wurde, so dass es für sie immer schwerer wurde anderen Liebesversuchungen zu wiederstehen. Die Gründe für dieses auf Distanz-halten einerseits und die Idealisierung einer Beziehung, die doch auf vielen Ebenen unzureichend war, konnten erst durch Klärung noch unbewusster Konflikte und Motive ans Licht gebracht werden. Herr A. konnte sich nach diesem Bewusstwerdungsprozess neu orientieren und sich neu verlieben.